Open Access – noch lange kein Standard I: Die Geisteswissenschaften

Open Access - noch lange kein Standard (DUZ)

Für DUZ Wissenschaft & Management habe ich zuletzt das Titelthema verfasst: Open Access. Hier die mit dem Verlag besprochene Zweitveröffentlichung des Artikels über die Geisteswissenschaften (Teil I):

 

 

Skeptisch und eher defensiv

In den Geisteswissenschaften tun sich die Forschenden schwer, Open Access zu publizieren. Die Angst, das Kulturgut Buch zu verlieren, ist größer als in anderen Disziplinen. Doch die Lage ist heterogen, es gibt auch zahlreiche innovative Projekte. Eine Einschätzung

 

Das Bekenntnis der Politik zu Open Access und die Publikationskultur der Geisteswissenschaften

„Open Access wollen wir als gemeinsamen Standard etablieren.“

Open Access - Skeptisch und eher defensiv (DUZ)Diese Ankündigung findet sich im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition für die laufende Legislaturperiode. Damit spricht sich die Bundesregierung dafür aus, dass wissenschaftliche Publikationen und damit Erkenntnisse frei zugänglich und nutzbar sein sollen – und zwar für jede Person und unabhängig von finanziellen, gesetzlichen oder technischen Barrieren. Auch die Zugehörigkeit zu einer Institution und deren Erwerbsentscheidungen soll also nicht mehr entscheidend sein.  So definiert sich der Begriff Open Access, der seit einiger Zeit für Veränderungen und auch Unruhe im wissenschaftlichen Publikationswesen sorgt. Vor allem in den Geisteswissenschaften stößt dieser Publikationsmodus auf Skepsis. Sie rangieren nach den vorliegenden Zahlen am Ende der Open-Access-Affinität wissenschaftlicher Disziplinen. Zwischen politischem Willen und Realität klafft hier eine große Lücke.

 

Politischer Wille und Realität

PolitikForschungsförderer positionieren sich immer stärker pro Open Access. Selten jedoch verpflichten sie die Forschenden in Deutschland dazu, die von ihnen geförderten Forschungsergebnisse Open Access veröffentlicht werden. So sprechen sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) klar für Open Access aus, aber ohne eine Verpflichtung zum freien Publizieren in den geförderten Projekten einzusetzen. Anders ist dies beim österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) und dem Schweizer Nationalfonds (SNF), die genau das verlangen.

Die Debatte um solche Verpflichtungen offenbart einen teils heftigen Widerstand, es wird gar um den Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit gebangt. Was steckt hinter solch heftigen Reaktionen? Schließlich ist die dahinterstehende Forschung in der Regel aus öffentlichen Geldern finanziert. Ein Hauptargument pro Open Access ist, dass deshalb auch die Forschungsergebnisse für die gesamte Öffentlichkeit ohne Einschränkung einzusehen sein soll.

Auch gibt es immer mehr profilierte, hervorragende Publikationen, Reihen, Plattformen und Verlagsangebote für Open-Access-Publikationen. Zentrale Akteure im wissenschaftlichen Verlagswesen haben Open-Access-Angebote, auch die Universitäten stellen Plattformen und eigene Verlage bereit. Aber dies alles setzt sich in den Geisteswissenschaften nur teilweise durch. Die Gründe dafür sind vielfältig: Bestimmte Reihen oder Zeitschriften sind schlichtweg nicht Open Access; in anderen Fällen liegt es am mangelnden Geld; es gibt aber auch schiere Ablehnung des Publikationsmodus aufgrund einer Reihe von Befürchtungen: Das traditionsreiche Verlagswesen sei gefährdet, ebenso die inhaltliche Qualität von wissenschaftlichen Publikationen, es drohe ein Reputationsverlust für die eigene Forschung, wenn man die etablierten Strukturen verlasse und auch um die Existenz des gedruckten Buchs wird gefürchtet. Aber hier lohnt ein genauerer Blick.

 

Stirbt das Buch?

Die Angst vor dem Verlust des Kulturgutes Buch ist eine Sorge, die im Zusammenhang mit Open Access oft formuliert wird und die eine Urangst der Digitalisierung ist. Gerade in den Geisteswissenschaften spielt es eine besondere Rolle: Denn neben Fachzeitschriften und Sammelbänden ist es vor allem das monographische Werk, in dem die zentralen Erkenntnisse einer Forschendenlaufbahn festgehalten werden. Im Zentrum einer geisteswissenschaftlichen Karriere stehen dabei mindestens zwei eigene Bücher: die Dissertation und die Habilitation. In anderen Fachgebieten sind hingegen Artikel in Fachzeitschriften das maßgebliche Format; Promotion und Habilitation erfolgen häufig kumulativ, also durch mehrere Artikel zu einem Themenkomplex. Die Sorge um den Verlust des gedruckten Kulturguts richtet sich weniger auf Zeitschriften und mehr auf die Monographie, auf das dicke Buch zu einem Thema, das man in langen Stunden in solitärer Arbeit am Schreibtisch verfasst hat. Ist es nicht naheliegend, dass es verschwindet, wenn Forschungsergebnisse online abrufbar werden?

Nach allen bisherigen Entwicklungen besteht keine Gefahr. Denn Open-Access-Bücher sind in der Regel nicht ausschließlich online verfügbar, sondern werden auch gedruckt. Dass dies mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich ist, ist einer technischen Errungenschaft zu verdanken: dem Print-on-demand-Druck. Dieser hat inzwischen ein hohes technisches Niveau und erlaubt vergleichsweise einfach den wiederholten Druck kleiner Chargen ausgehend von derselben Datei. Zu nennen sind auch Weiterentwicklungen des Buchs im Digitalen, das neben abgeschlossenen E-Books auch veränderliche Formate (Stichwort living books) kennt.

Auf einer ganz persönlich-emotionalen Ebene ist es auch so, dass viele Forschende eben noch ein gedrucktes Buch in der Hand halten wollen. Besonders nach einer mühevollen Promotion oder Habilitation macht es den Abschluss eines großen Projekts greifbar. Mitunter geht es auch um ein Geschenk für stolze Großeltern, um die Präsentabilität des eigenen Bücherregals oder mitunter auch um Lesegewohnheiten. Worum es auch immer geht: Das gedruckte Buch existiert weiter.

 

Open Access, Verlage und die Finanzierung von Büchern

Mit Open Access wird auch eine Abkehr von den Verlagen assoziiert. Als klassische Wissensvermittler genießen sie gerade in den Geisteswissenschaften nach wie vor großes Vertrauen. Sie stehen für die ganze Tradition des Gelehrtentums und für eine wichtige kuratorische und editorische Arbeit in der Wissensvermittlung. Allerdings besteht zwischen Verlagswesen und Open Access kein zwangsläufiger Widerspruch. Denn viele dieser Vertreter der Buchkultur bieten inzwischen Open-Access-Modelle an.

Ein Problem ist aber die Finanzierung von wissenschaftlichen Buchveröffentlichungen und generell und umso mehr, wenn ein freier Zugang bestehen soll. Denn durch wissenschaftliches Publizieren verdient man kein Geld, sondern man bezahlt es an Verlage, damit sie die Publikation produzieren. In der Regel handelt es sich um mehrere Tausend Euro für eine Monographie. Bei Open-Access-Büchern kalkulieren die Verlage meist einen Ausgleich für weniger verkaufte Printexemplare ein, der zu den Kosten hinzukommt. Diese zu zahlenden Druckkostenzuschüsse stammen aus Lehrstuhlmitteln oder Drittmitteln, die in den Geisteswissenschaften nicht immer üppig ausfallen. Promovierende zahlen die Kosten zudem häufig auch aus eigener Tasche. Da die Finanzierung von geisteswissenschaftlichen Promotionen häufig ohne auskömmliches Beschäftigungsverhältnis erfolgt, können die höheren Kosten für ein Open-Access-Buch mitunter einen entscheidenden Unterschied machen und Promovierende davon abhalten, ihre Ergebnisse frei zugänglich zu machen.

Um die Kosten auszugleichen, gibt es einen großen Flickenteppich an einzelnen Fördermöglichkeiten durch einzelne Fachverbände und durch Forschungsförderer wie die DFG. Diese Angebote sind aber nur für einzelne Veröffentlichungen nutzbar und mit unklaren Erfolgsaussichten verbunden. Hier klafft eine massive Finanzierungslücke, die so gar nicht zum politischen Willen zu Open Access passen will. Einige Universitäten begegnen ihr inzwischen mit einem Monografienfonds aus eigenen Mitteln entgegen, aber nicht überall haben Forschende dieses Glück. Auch die Dichte an Universitätsverlagen hat deutlich zugenommen. Sie bieten günstige hochqualitative Angebote für die Forschenden der eigenen Institution. Bislang können sie aber nicht immer mit einem reputationsstarken Verlagsprogramm aufwarten. Eine andere Situation liegt jedoch etwa in Spanien oder auch England vor. Dort sind die universitätseigenen Verlage wichtige Größen im wissenschaftlichen Publikationswesen. Was in den Geisteswissenschaften übrigens kaum eine Rolle spielt, sind Veröffentlichungsgebühren für Zeitschriftenartikel – ganz im Gegenteil zu einigen Naturwissenschaften, in denen vierstellige Gebühren für die Veröffentlichung eines einzelnen Artikels keine Seltenheit sind.

 

Open Access ohne Verlage

Aber auch außerhalb der Verlagsstrukturen gibt es qualitativ hochwertige Publikationen. Unter dem Stichwort scholar led geschieht hier immer mehr, dabei übernehmen Forschende editorische Rollen. Diese Publikationen werden von Universitäten beziehungsweise ihren Bibliotheken gehostet. Diese sorgen für hohe technische Standards und eine Langzeitverfügbarkeit der Inhalte sowie für die Auffindbarkeit der Publikationen in digitalen Katalogen und allgemeinen Suchmaschinen wie Google.

Was die inhaltliche Qualität angeht, gibt es nicht zuletzt die Sorge, dass im Open-Access-Sektor nicht lektoriert wird. Tatsächlich ist das Lektorat im Rückzug, allerdings ist es das auch bei Printveröffentlichungen im klassischen Verlagswesen. Auch bei Open-Access-Veröffentlichungen ist die Lage sehr heterogen. In einem speziellen Bereich von Open Access wird tatsächlich flächendeckend auf das Lektorat verzichtet, nämlich bei den Dokumentenservern der Institutionen. Dort kann unkompliziert und ohne intensive inhaltliche Prüfung veröffentlicht werden. Tatsächlich ist dies auch nicht Aufgabe solcher Angebote: Denn sie dienen der Zweitveröffentlichung von Texten, die bereits an anderer Stelle (bei einem Verlag) erschienen sind, sowie von Preprints, Working Papers und Konferenzmaterialien. In diesen Fällen ist eine editorische Betreuung nicht entscheidend.

Sorge vor Reputationsverlust

Bei der gesamten Einordnung von Open Access spielt die Reputationskultur der Wissenschaft eine prägende Rolle. Wo und wie publiziert wird, hängt maßgeblich vom Ansehen der Namen von spezialisierten Verlagen, Herausgebenden, Zeitschriften und Reihen ab.

Hingegen spielen Impact Faktoren und andere Metriken spielen in den Geisteswissenschaften – anders als in anderen Fächern – faktisch keine Rolle. Überhaupt scheinen Zitationshäufigkeiten nicht darüber zu entscheiden, welches Renommee eine Publikation hat. Denn Open-Access-Publikationen werden, glaubt man einer ganzen Reihe von Untersuchungen, häufiger gelesen und auch zitiert. Dennoch aber halten sich hartnäckig Befürchtungen, Open Access gehe mit einem Reputationsverlust einher oder schade den gewachsenen Strukturen des wissenschaftlichen Publizierens und des Verlagswesens. Junge Forschende kann dies eher zu den tradierten Formaten führen; etablierte Professor*innen haben ihre vertrauten Kollaborationen und Kreise, in denen ihre Publikationen fest verankert sind. Auf neu gegründete Zeitschriften und scholar-led Publikationen außerhalb der etablierten Verlage färbt kein Renommee eines Verlagsnamen ab. Bei der Betrachtung von Neugründungen im Bereich der Zeitschriften wird aber auch deutlich, dass der Aufbau von Reputation schnell vonstattengehen kann. Dies kann über die Namen der Herausgebenden geschehen, wie auch über die Anbindung an eine etablierte Fachgesellschaft, an eine bekannte Tagungsreihe oder auch über die Namen der Beitragenden.

 

Prekäre Verhältnisse

Durch Vorträge auf Fachtagungen und durch das Publizieren von Artikeln weist man sich als Expert*in in einem Fachgebiet aus. Auch die Herausgabe eines Sammelbandes oder gar die Gründung einer neuen Fachzeitschrift erhöhen die Sichtbarkeit der eigenen Expertise.  Allerdings scheint hier mitunter ein lebenspraktisches Problem auf: Eine Forschendenkarriere verläuft selten geradlinig. Fast alle Stellen sind befristet, Unterbrechungen in den Anstellungsverhältnissen häufig. Dauerstellen gibt es fast nur noch in Form der Professur. Nicht alle qualifizierten Geisteswissenschaftler*innen erhalten jedoch einen Ruf. Erst jüngst wurde unter den Hashtags #IchbinHanna, #IchbinReyhan und #ProfsfürHanna viel über prekäre Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft diskutiert. In den Geisteswissenschaften verschärft sich die Situation dadurch, dass ein exzellentes fachliches Profil nicht unbedingt für eine Anstellung in der Privatwirtschaft sorgt. Deshalb gabelt sich der Weg nach 10 bis 20 Jahren in der Wissenschaft – so lange dauert in der Regel die sogenannte Qualifizierungsphase – zwischen einer Professur und dem Abschied aus der Academia. Ein Professor spitzte die Aussage einmal so zu, dass er an der Gabelung von C4 (der früher üblichen Besoldungsstufe für Lehrstühle) und Hartz IV stand. In seinem Fall wurde es C4, allerdings indem er widerwillig ans andere Ende der Republik umzog.

Die Hoffnung auf eine Dauerstelle führt häufig dazu, dass auch viele Forschende in prekären Beschäftigungsverhältnissen oder gar ohne Anstellung wissenschaftlich und editorisch tätig sind. Diese Problematik kulminiert in der Postdoc-Phase, in der neben der wissenschaftlichen Kernqualifikation auch Kompetenzen wie die herausgeberische Tätigkeit zu Währungen werden, gleichzeitig aber häufig keine stabile Finanzierung der Tätigkeit und der Publikationen vorhanden ist. Denn vor einem Ruf (oder dem Abschied aus der Academia) läuft häufig die Zeit ab, die das Wissenschaftszeitvertragsgesetz für eine befristete Anstellung einräumt.

Die Sorge um die eigene berufliche Zukunft beeinflusst mitunter auch die Wahl von Publikationsformaten. Neben dem Weg der Profilierung durch eigene Herausgeberschaften, auch im Open Access-Bereich, existiert auch ein defensiver Weg. So werden etablierte Formate, Publikationen, Reihen und Verlage gewählt, da sie als Reputationsgaranten gelten. Ob diese nun Open Access sind oder nicht, ist dann häufig zweitrangig.

 

Heterogene Lage

Insgesamt ist die Open-Access-Debatte ein Spiegel der akademischen Welt und ihrer Strukturen. Neben ablehnenden Haltungen entstehen zahlreiche hervorragende Projekte. Zeitschriften werden gegründet, Monografienfonds und andere Initiativen wachsen und an immer mehr Stellen positionieren sich auch Forschende dezidiert pro Open Access und machen die für sie geeigneten Angebote ausfindig. Man darf gespannt sein, wann das Ziel der Ampelregierung von Open Access als Standard tatsächlich Realität wird.

 

Nachweise:

Der Artikel ist die akzeptierte Manuskriptfassung des Artikels in DUZ Wissenschaft & Management, Ausgabe 6.2023, S. 14-18, www.duz.de

 

Abbildungen: