Open Access – noch lange kein Standard II (Thema in DUZ Wissenschaft & Management): Die Natur- und Technikwissenschaften

DUZ Wissenschaft & Management - Open Access (Christoph Hornung)

Für die DUZ Wissenschaft & Management habe ich kürzlich die Artikel für das Titelthema „Open Access“ verfasst. Hier die mit dem Verlag besprochene Zweitveröffentlichung des Artikels über die Natur- und Technikwissenschaften:

 

Open Access ist in den Naturwissenschaften stärker etabliert als in den Geisteswissenschaften. Allerdings gibt es Unterscheide zwischen den einzelnen Fächer, so ist die Physik deutlich stärker auf Open Access orientiert als die Chemie und die Biologie. Auch in den Technikwissenschaften ist die Situation heterogen. Eine wachsende Anzahl von Journals wird dabei von öffentlichen Institutionen oder Verbänden herausgegeben und gehostet. Dennoch dominieren das Feld in diesen Fächern einige wenige Großverlage mit beachtlichen Gewinnmargen: Zu nennen sind insbesondere Springer, Elsevier, Sage, Taylor & Francis und Wiley. Für eine Open-Access-Publikation in der Zeitschrift Nature werden bis zu 10.000 Euro fällig – nicht etwa als Bezahlung für die Publizierenden, sondern umgekehrt: Die Publizierende zahlen diese Gebühren an den Verlag, damit dieser den Artikel veröffentlicht. Open Access ist dabei noch teurer als eine sogenannte closed-access-Publikation, bei der Bibliotheken und Einzelpersonen weitere Gebühren zahlen, damit ein Artikel gelesen werden kann. Bei Open Access in den Natur- und Technikwissenschaften geht es also um Geld. Um viel Geld.

 

1. Kostspieliges Publizieren von Artikeln

Im Zentrum des Publikationsgeschehens der Natur- und Technikwissenschaften steht der Artikel – zumeist in wissenschaftlichen Journals, bisweilen auch in Tagungsbänden. Dabei ist die digitale Veröffentlichung seit geraumer Zeit Standard, wobei sich Open Access und lizenzpflichtiger Closed Access – mit unterschiedlichen Anteilen in den einzelnen Fachgebieten – die Existenz teilen. Die Konferenzveröffentlichungen (sog. proceedings), die in den Technikwissenschaften auch zentral sind, sind teilweise auch frei zugänglich, werden aber häufig in selbstverwalteten Formaten veröffentlicht.

Dollarzeichen, gemeinfreiDie hohen Veröffentlichungsgebühren von meist mehreren Tausend Euro pro Artikel wachsen umso stärker an, wenn ein Artikel frei zugänglich gemacht werden soll. Diese Möglichkeit bieten viele Journals an, für die Open Access nicht das Standard-Modell ist, sondern ein kostenpflichtiges Zusatzangebot. Um dies zu bezahlen, werden von verschiedenen Seiten Gelder mobilisiert – schließlich streben nicht nur das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Wissenschaftsrat eine Umstellung des wissenschaftlichen Publikationssystems zu Open Access an. Vielmehr engagieren sich auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Forschungsorganisationen wie Leibniz oder Helmholtz, zahlreiche Universitäten und andere Forschungseinrichtungen. Vielerorts wurden in den letzten Jahren Förderfonds eingerichtet. Diese haben eine nicht zu unterschätzende Steuerungswirkung – und zwar nicht nur auf die Entscheidung von Forschenden, ihre Ergebnisse Open Access zu publizieren. Vielmehr zeichnet sich als interessanter Nebeneffekt auch ein Einfluss auf die Preisgestaltung von Verlagen ab. So hatte Deutschlands größter Forschungsförderer, die DFG, lange eine Obergrenze von 2.000 Euro für die Unterstützung von Open-Access-Publikationen. Nach dem Wegfall dieser Obergrenze war eine Preissteigerung von Verlagsseite zu beobachten.

Oftmals und speziell bei diesen Verfahren wird kritisiert, dass für Open Access noch mehr Geld ausgegeben wird, als dies bei anderen wissenschaftlichen Publikationen ohnehin der Fall ist. Natürlich ist es richtig, dass bei diesen Finanzierungsmodellen mehr Geld für die Publikation ausgegeben wird. Allerdings fallen für das Lesen von OA-Publikationen keine Lizenzgebühren mehr an.

2. Zementierung des Status quo durch den Journal Impact Factor

Die großen Verlage behaupten ihre Position im Publikationsgeschehen. Durch ihren etablierten Status sind sie auch weiterhin gefragt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei der Journal Impact Factor (JIP). Er ist insbesondere in den Naturwissenschaften eine zentrale Orientierungsgröße bei der Entscheidung, wo publizierende Wissenschaftler*innen ihre Artikel einreichen. Er gibt an, wie häufig Artikel durchschnittlich zitiert werden, die in einer bestimmten Zeitschrift erscheinen. Bei dieser Kennzahl ist höchst fraglich, welcher Zusammenhang zwischen der Anzahl von Zitationen und der Qualität eines einzelnen Artikels besteht. Ein besonders anschauliches Beispiel ist eine Studie von Andrew Wakefield in Lancet. Diese hatte einen Zusammenhang zwischen einer Impfung und dem Auftreten von Autismus hergestellt. Die Studie erwies sich jedoch als gefälscht, Wakefield verlor seine Zulassung als Arzt. Trotzdem wird die Arbeit immer noch häufig zitiert – allerdings als Beispiel für schlechte Arbeit.

Der Grundgedanke ist freilich, die Relevanz von Veröffentlichungen objektiv zu erfassen. Deshalb spielt der Journal Impact Factor eine zentrale Rolle im wissenschaftlichen Reputationssystem dieser Fächer, etwa bei den Berufungsverfahren zur Besetzung von Professuren. Aufgrund dieser Bedeutung hat die Kennziffer einen verstärkenden Effekt: Zeitschriften, die bereits eine hohe Verbreitung haben, zementieren diese durch einen hohen JIP und die daraus folgende Anziehungskraft als Publikationsrahmen für weitere Forschungen. Einmal etablierte Zeitschriften haben so gute Chancen, ihren Status zu festigen – und damit auch die dahinterstehenden Verlage.

Die Kennzahl wird auch für lizenzierungspflichtige Publikationen erhoben, aber eben auch für Open-Access-Publikationen. Viele dieser Journals bieten gegen eine zusätzliche Gebühr die Möglichkeit an, den eigenen Artikel frei zugänglich zu machen. Dies kann natürlich eine Hürde darstellen – es sei denn, es gibt spezielle Anreize zur Open-Access-Publikation. In einigen Fällen ist dies sogar verpflichtend – was bei immer mehr Forschungsförderern der Fall ist und in Österreich und der Schweiz wesentlich häufiger als in Deutschland.

 

3. Transformation mit den etablierten Playern: DEAL & Co.

Die starke Rolle der Verlage und ihrer Zeitschriften einschließlich ihres hohen Impact-Factors spiegelt sich in dem Weg wider, auf dem die „Transformation des wissenschaftlichen Publizierens zu Open Access […] innerhalb der nächsten Jahre“, schrittweise vollzogen werden soll, wie es der Wissenschaftsrat formuliert. Als eine Maßnahme um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, schlossen seit 2019 Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen umfassende Open-Access-Verträge mit einigen Verlagen. Unter dem Namen DEAL-Verträge wurden Abkommen mit Wiley und dann auch mit Springer Nature geschlossen [Update: inzwischen auch mit Elsevier]. In kleinerem Umfang wurden mit weiteren Verlagen erfolgreich verhandelt. Davor wurden vielerorts und im großen Stil Abonnements gekündigt – insbesondere beim Großverlag Elsevier. Sie nahmen in den Bibliotheksetats zuvor Anteile ein, die weit überproportional waren und an anderer Stelle Geld fehlen ließen. Durch die Kündigungen entstand ein gewisser Druck auf die Großverlage im Vorfeld der DEAL-Verhandlungen. Dennoch scheiterten die Verhandlungen mit Elsevier [für die erste Laufzeit der DEAL-Verträge], aber mit anderen Verlagen wurden sogenannte Transformationsverträge geschlossen.

Die Grundidee dieser Verträge ist folgende: Die Mitglieder einer Institution zahlen bei einem Verlag keinen Aufpreis dafür, dass ihre Publikationen frei zugänglich gemacht werden. Im Gegenzug verpflichtet sich die Institution zur Lizenzierung der kostenpflichtigen Veröffentlichungen des Verlags.

Gelegentlich wird auch ein anderer Weg beschritten, indem neue Open-Access-Zeitschriften gegründet werden. Unter dem Stichwort scholar led werden Forschende selbst herausgeberisch beziehungsweise verlegerisch tätig. Als Diamond-Open-Access-Journals veröffentlichen viele Institutionen und Verbände Zeitschriften, bei denen die Publizierenden keine Veröffentlichungsgebühren zahlen müssen.

 

4. Geschlossener Open Access

In den Technikwissenschaften wirken auch andere Prinzipien in der Publikationskultur, vor allem wenn der Kreis der Spezialist*innen zu einem Thema oder Themenkreis überschaubar ist. So ist der zentrale Rahmen für die Veröffentlichung neuer Erkenntnisse in einigen Fachbereichen eine regelmäßig stattfindende Tagung, auf der die neuesten Erkenntnisse im Kreis der Spezialist*innen vorgestellt werden. Im Anschluss daran erscheinen die schriftlichen Ausarbeitungen, die relativ häufig auf den Internetseiten der jeweiligen Fachgesellschaft veröffentlicht werden. Diese Publikationsplattformen sind oft recht isoliert. So ist es aufgrund fehlender Schnittstellen oft nur schwer möglich, die Informationen über die Publikationen – die sogenannten Metadaten – zu nutzen, zum Beispiel um die sie über Suchmaschinen wie Google auffindbar zu machen. Auch eine Anbindung in Bibliothekskataloge wird so erschwert. Zwar erfüllen diese Publikationen den Kern des Open Access, indem sie frei zugänglich sind. Indem sie aber so abgekapselt sind, sind sie vor allem Eingeweihten zugänglich und praktizieren eine recht geschlossene Form des Open Access.

Zuletzt aber werden immer mehr dieser Formate in sogenannte Diamond-Open-Access-Journals umgewandelt. Damit erscheinen sie weiterhin digital, aber in der Rahmung einer Zeitschrift, die n der Regel mit einer modernen Schnittstelle für die Metadaten ausgestattet ist und die insgesamt eine technische Erneuerung bedeutet. Die Kosten hierfür trägt in der Regel die Fachgesellschaft oder eine einzelne Institution.

 

5. Vorbehalte

Fachspezifische Dynamiken bestimmen den unterschiedlichen Verbreitungsgrad von Open Access in den einzelnen Fächern. In der Chemie ist dieser Publikationsmodus noch weniger verbreitet als in der Physik oder auch in der Biologie. In den Technikwissenschaften ist Open Access wiederum weniger verbreitet als in den Naturwissenschaften. Als Gründe hierfür wurden in Befragungen die mangelnde Bekanntheit adäquater Angebote und die Annahme minderer Qualität, die dem Open-Access-Publikationsmodus teilweise noch als Vermutung anhaftet, genannt. Einige Vorbehalte lassen sich auch auf die Industrienähe zurückführen, da in den Technikwissenschaften ein Teil der Forschungsergebnisse und auch der erhobenen Forschungsdaten im Rahmen von Auftragsarbeiten entstehen. Auch wo das nicht der Fall ist, lässt sich aus dieser Struktur eine grundsätzliche Skepsis gegenüber der freien Veröffentlichung von Erkenntnissen ableiten. Auch spielt die Verwertung von Forschungsergebnissen für Patente eine Rolle, wie auch der Praxisbezug, durch den die Technikwissenschaften weniger in den klassischen Publikationsformaten publizieren.

 

6. Predatory Publishing

Die beachtlichen Geldflüsse haben auch zu missbräuchlichen Publikationen geführt: Sogenannte predatory publishers verlangen ebenso hohe Veröffentlichungsgebühren wie anerkannte Verlage, führen aber keine wissenschaftliche Begutachtung durch und haben keine valide Qualitätssicherung. Teils wenden sie sich gezielt an einzelne Forschende mit dem Angebot, in thematisch passenden Sonderausgaben eines Journals zu publizieren, die mitunter in großen Mengen auf den Markt gespült werden. Gerade in den großen Fächern sind die Publikationsangebote nicht immer überschaubar. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Publizierende durch interdisziplinäre Ansätze auch in weniger vertraute Publikationskulturen vorstoßen und wenn internationale Publikationen relevant sind.

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde dieses Phänomen 2018 durch die Berichterstattung von NDR, Süddeutscher Zeitung und MDR bekannt. Unter Schlagwörtern wie Lügenmacher und fake science nahm die Debatte auch unsachliche Züge an, verweist aber auf ein tatsächliches Problem, das sich nicht zuletzt in einzelnen Open-Access-Formaten materialisiert. An den Institutionen ist das Problem bekannt und es werden Prüfungen der Publikationsangebote vorgenommen. Eine der wichtigsten Referenzen ist dabei das Directory of Open Access Journals (DOAJ), das weltweit zentrale Verzeichnis von reinen Open-Access-Zeitschriften ist. Es gibt also Möglichkeiten der Gegenprüfung.

 

7. Freier Zugang zu Forschungsdaten

Research_Data_Diversity

Neben Textpublikationen ist die Veröffentlichung von Forschungsdaten als Open Data auch ein wichtiges Thema. In den naturwissenschaftlichen Fächern und ihren Teildisziplinen sind Publikationen von Daten wie die von Text unterschiedlich stark etabliert. In einigen Bereichen wird jedoch ganz fundamentaler Wert darauf gelegt: Die wichtige multidisziplinäre Zeitschrift PLOS ONE beispielsweise verlangt bereits seit 2014 im Zuge jeder Textpublikation auch die Publikation der dazugehörigen Forschungsdaten. Dazu gehören Ergebnisse aus Befragungen, Erhebungen, Messwerte aus Zellanalysen, Bodenproben etc. Auch Forschungsförderer legen verstärkt Wert auf offene Datenveröffentlichungen. Als Ideale hinter dem Open Access zu Forschungsdaten stehen insbesondere der freie Zugang zu Forschungsergebnissen inklusive der erhobenen Daten, deren Nachnutzbarkeit für andere Forschungen sowie deren Transparenz und Überprüfbarkeit. Auf speziellen Servern – sogenannten Repositorien – werden die Daten zugänglich gemacht, in speziellen Datenjournals wird ihre Erhebung und Verarbeitung beschrieben. Um das Thema strategisch zu verankern und Angebote für den Forschungsalltag zu schaffen, entstehen spezielle Referate zu Forschungsdatenmanagement und Open Access, die forschungsunterstützend wirken. Bundesweit entsteht eine Nationale Forschungsdateninfrastruktur, an der sich Einzeleinrichtungen und Verbünde beteiligen.

 

Fazit

In den nächsten Jahren dürfte sich die Dynamik des Open Access in den Natur- und Technikwissenschaften weiter verändern: Während die Großverlage weiterhin wichtige Player bleiben, werden neue Finanzierungsmodelle entwickelt und getestet. Besonders Finanzierungen auf Gemeinschaftsbasis (sog. konsortiale Modelle) greifen in die Dynamik ein. Auch werden neben den kommerziellen Angeboten verstärkt Angebote von Institutionen umgesetzt.

 

Nachweise:

Der Artikel ist die akzeptierte Manuskriptfassung des Artikels in DUZ Wissenschaft & Management, Ausgabe 6.2023, S. 19-22, www.duz.de

Abbildungen: